Krieger des Herzens werden
Nach Pema Chödrön
„Hallo, kleines Mädchen! Lass doch nicht zu, dass das Leben dein
Herz verhärtet!“ – Dies war die erste Unterweisung in Bodhichitta, welche die
buddistische Nonne und Lehrerin Pema Chödrön als kleines, wütendes Mädchen auf
der Straße von einer fremden, alten Frau bekam.
Bodhi bedeutet erwacht, erleuchtet, völlig offen. Chitta heißt Geist,
Bewusstsein, aber auch Herz. Bodhichitta wird mit unserer Fähigkeit zu lieben
gleichgesetzt, mit Mitgefühl, mit unserer Fähigkeit, das Leiden der anderen
mitzuempfinden und uns um andere zu kümmern.
Uns fällt es normalerweise sehr schwer, das eigene Leid und das
der anderen zu ertragen. Ohne dass wir uns dessen bewusst sind, schotten wir
uns ständig gegen das Leiden ab. Wir wollen es lieber nicht sehen, lieber nicht
erleben, spüren, ertragen, damit umgehen müssen – weil es uns Angst macht.
Wir entwickeln eine Vielzahl von Strategien, wie wir dieses
Leiden nicht empfinden müssen, z.B. Meinungen und Vorurteile, ungesunde
Verhaltensmuster, Süchte usw. Wir haben einfach so große Angst, verletzt zu
werden, dass wir um uns herum Mauern errichten, die uns schützen sollen. Diese
Mauern werden dann noch durch alle möglichen Emotionen verstärkt, z.b. Zorn,
Gleichgültigkeit, Neid, Arroganz, Stolz...
Diese komplexe Struktur von Verhaltensmustern, starken Emotionen
und Glaubenssätzen ist das, was man im Buddhismus Ego nennt. Es ist das,
was wir glauben, was wir sind, was uns ausmacht. Daran gekoppelt ist unsere
Geschichte, unsere Kindheit, Jugend, Berufsleben, Elternschaft usw., all die
Erinnerungen, Erlebnisse, die wir hegen und pflegen, die wir uns selbst im
Geiste und auch den anderen immer wieder erzählen. Es ist das Bild, das wir von
uns kreieren: ich bin der, der diese und jene Meinung hat, der so und so
empfindet, dem das egal ist und das andere wichtig usw. Diese Struktur gibt uns
eine vermeintliche Sicherheit, dass wir gegen die Verletzungen des Lebens
gewappnet sind.
Wir holen unsere Waffen raus, wann immer eine Verletzung droht
oder vielleicht laufen wir sogar permanent in einer Rüstung umher. Wir laufen
weg, schreien herum, bestrafen, maßregeln, verletzen, kontrollieren. So groß
ist die Angst vor dem Verletztwerden, dem Alleinsein, dem Verlorensein, dem
Ungenügend- und Verkehrtsein.
Jeder, ausnahmslos, bildet diese Strukturen. Letztendlich in der
Hoffnung, damit irgendwie glücklich zu werden. Am Ende trägt jeder aber bloß
all diese Geschichten und Gewohnheiten und emotionale Schutzschilde mit sich
herum und eine authentische Begegnung mit dem anderen wird unendlich schwer.
Die Egos verheddern sich ineinander, gehen auf einander ein, beziehen sich aufeinander und versuchen miteinander zu funktionieren, sie treiben Spielchen
miteinander und schauen doch immer, dass sie selber am besten wegkommen.
Eigentlich aber sind wir gar nicht an diesen Spielchen
interessiert. Wir, die da drin hinter diesen Mauern sitzen, wir fühlen uns
vielleicht etwas sicherer, aber auch eingesperrt, da wir uns nur innerhalb
dieser Grenzen bewegen können, und wir im Grunde ständig Angst haben, dass
jemand entdecken könnte, dass wir gar nicht so sind wie wir vorgeben und uns
dann nicht mehr liebt.
Wir sehnen uns danach, unsere Verletzlichkeit zu offenbaren, all
unsere Ängste, Wünsche, Hoffnungen, das alles zeigen zu dürfen, vorbehaltlos,
und wir wünschen uns nichts sehnlicher, als dass sich wenigstens ein Mensch
findet, der all das sehen will und ok findet und vor dem wir uns nicht
bewaffnen müssen oder dicht machen müssen.
In unseren Freunden, unserem Partner oder unseren Kindern erhoffen wir uns, diese
Menschen zu finden. Doch auch mit ihnen entwickeln wir Verhaltensmuster und
Rollenstrukturen – vor allem, wenn
der andere uns verletzt hat, wenn wir uns für uns selbst schämen und uns damit
selbst verletzen, oder wenn wir das Gefühl haben, stark sein zu müssen. Dann bewaffnen wir uns sofort wieder und gehen in Sicherheit.
Wählt man den Weg des Kriegers, entscheidet man sich dafür,
nicht zu verhärten, möglichst wenige Mauern zu errichten und so offen wie
möglich zu bleiben.
Die uns angeborene Fähigkeit zu lieben, ist wie ein Riss in
diesen Mauern. Mit etwas Übung können wir diese Öffnung finden, sie wahrnehmen
und den Augenblick der Verletzlichkeit als Chance nutzen, das Bodhichitta,
das klare, offene Herz in uns zu erwecken, zu vergrößen, zu hegen und zu
pflegen. So wird man zum Bodhisattva, zum Krieger – natürlich nicht zum
aggressiven und vernichtenden Krieger, sondern zum Krieger, der bereit ist, die
eigenen selbstbezogenen Reaktionen und ihre Selbsttäuschungen zu durchschneiden, der sich darin
übt, das Herz zu öffnen und den Geist zu schulen. Ein Krieger schult sich
darin, seinen Mut und seine Liebe zu wecken.
Ich habe mich bemüht einen Aspekt von Pemas Lehre darzustellen, weitere werden folgen. Als Literatur empfehle ich:
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