"Ich betrachtete wieder die leere Stelle an meinem Finger, wo der Ring gesessen hatte. Diesmal sah ich wirklich eine leere Stelle. Zum ersten Mal in meinem Leben erfüllte mich ein Verlust mit Neugier.
Was würde kommen, um diese leere Stelle zu füllen? Würde ich einen anderen Ring anfertigen? Oder würde ich in einem Laden oder auf einer Reise einen anderen Ring finden? Vielleicht würde mir irgendwann einmal jemand, den ich noch nicht kannte, einen Ring schenken, weil er mich liebte.
Ich war fünfundreißig Jahre alt und hatte noch immer nicht gelernt, dem Leben zu vertrauen. Ich hatte niemals irgendwelche leeren Stellen zugelassen. Wie meine Familie hatte ich geglaubt, dass leere Stellen auch leer blieben. Zu leben hatte bedeutet, sich an das zu klammern, was man hatte. Meine medizinische Ausbildung hatte mich in meiner Haltung, Verluste um jeden Preis zu vermeiden, noch bestärkt. Alles, was ich jemals losgelassen hatte, zeigte bleibende Spuren meiner Umklammerung. Doch mit dieser leeren Stelle an meinem Finger verhielt es sich anders. Sie erfüllte mich mit einer ähnlichen Spannung und Vorfreude wie eine eingepacktes Weihnachtsgeschenk."
Rachel Naomi Remen (aus: Endanfänge)
Text gefunden im "Mit Kindern wachsen" Helft Juli 2014
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