Oft
stülpen wir den Dingen unsere vorgefasste Meinung über. Das hindert uns daran,
die Dinge klar zu sehen. Mit dem
beginners mind, dem Anfängergeist, bemühen wir uns, alles so zu sehen und
zu erleben, als wäre es das erste Mal – ob das eine Begegnung mit unserem
Partner ist oder unserem Kind, oder dem Regen oder Wind in unserem Haar. Wir
versuchen, alle Vorurteile, alle Bewertungen und Meinungen, alle Erwartungen
und Wünsche loszulassen und zu schauen, was gerade ist.
Dadurch gewinnen
wir mit der Zeit eine offene Einstellung zu den Dingen und erleben sie dann
auch manchmal überraschend „neu“. Diese Haltung führt auch dazu, dass wir das
Leben in seinem Reichtum und seinem Wunder immer mehr schätzen lernen.
Der Mensch hat natürlicherweise das
Bestreben, die Dinge kennenzulernen, zu verstehen und sich dann eine Meinung zu
bilden oder ein Bild zu machen – ob über die Welt, die Menschen oder sich
selbst. Dabei häuft er ein vermeintliches „Wissen“ an, das er dann oft für
fest, sicher, unumstößlich und gegeben hält. Tatsächlich wissen wir aber
eigentlich viel weniger als wir meinen – vor allem deshalb, da sich alles,
inklusive wir selbst, in der stetigen Veränderung befindet. Permanent eröffnen
sich neue Möglichkeiten und offenbaren sich unentdeckte Potentiale, ständig
entwickeln wir neue Bedürfnisse und Erwartungen, ändern sich Struktur und
Anforderungen unserer Umwelt. Und jede dieser kleinen oder großen
Modifikationen, jede Begegnung, jeder Moment, jeder neue Tag bietet uns die
Möglichkeit, die Dinge anders zu sehen und anders darauf zu reagieren. Unsere
typische Haltung des „ich weiß schon“ oder „ich kenn das“ hindert uns jedoch
daran.
Wenn
wir etwas Neues erleben, haben wir zwei Möglichkeiten zu lernen: 1) wir
versuchen, die neue Information in unser bereits vorhandenes Glaubens- und
Meinungssystem zu integrieren; 2) wir verändern unser Glaubenssystem aufgrund
der neu gewonnenen Erkenntnisse. Beide
Verhaltensweisen sind wichtig, die zweite ist allerdings weitreichender und
tiefgehender – und auch wesentlich anspruchsvoller. Uns fällt es nämlich
meistens sehr schwer, alte Meinungen und alte Muster loszulassen und das
vertraute System zu verändern. Denn so eine Transformation geht oft einher mit
Ängsten und Phasen der Verunsicherung.
Doch erst die offene
Haltung und die Bereitschaft, die Dinge neu zu entdecken, Altes loszulassen und
Muster zu verändern, ermöglicht Wachstum, Kreativität und Transformation.
Hier einige Tipps, wie man im Alltag den
Anfängergeist üben kann
nach Rick Hanson: Just 1 Thing
·
Sei
aufmerksam auf das, was du mit absoluter Sicherheit zu wissen glaubst. Sei
skeptisch. Hinterfrage, kann ich mir da wirklich so sicher sein? Mit fixen
Glaubenssätzen gehen oft unsere größten Schwierigkeiten einher.
·
Beziehungen
und Kommunikation: Versuch, einmal vollkommen unvoreingenommen zu sein. Gib
dein Wissen und deine Schlussfolgerungen auf, die du über den anderen hast.
Höre einfach nur zu. Und vertraue, dass du angemessen antworten wirst, wenn du
mit Reden dran bist.
·
Achte
bei einem Spaziergang darauf, wie dein Geist deine Umwelt kategorisiert und
benennt, wie er sein Wissen über die Dinge anbringt um dir zu helfen, dich
zurechtzufinden. Zeige Wertschätzung (gut gemacht!) und dann schau, wie es sich
anfühlt das Wissen loszulassen.
·
Frage
dich: Muss ich ein Mensch sein, der alles Mögliche weiß, der viele gute oder
richtige Antworten hat? Wie fühlt es sich an diesen Anspruch abzulegen?
·
Sieh
dir einen Gegenstand an, z.B. eine Tasse, und hinterfrage, ob du wirklich weißt, was das ist. Menschen haben erforscht,
dass Dinge aus Atomen, Elektronen, Protonen, Quarks bestehen – aber wissen wir was Quarks sind? Wir haben
Annahmen darüber, woraus die Welt besteht (Energie, Raum-Zeit, Äther), aber was
können wir tatsächlich wissen über
Raum-Zeit? Selbst die schlauesten Wissenschaftler wissen es nicht.
·
Was
glaubst du, über dich selbst zu wissen? Wer du bist, wozu du fähig bist, wie
weit du dich entwickeln kannst? Wie wäre es, wenn du auch dir selbst mit
Offenheit, Neugier und Nicht-Wissen begegnen und deine vermeintlichen Grenzen
öfter neu ausloten würdest?
·
Wie
fühlt es sich an, wenn du das Bedürfnis nach Wissen leicht nehmen kannst. Wenn
du dir selbst vertraust, dass du das wichtigste „Wissen“ bereits in dir hast
und es sich zum gegebenen Moment zeigen wird?
Einst empfing ein japanischer Zen-Meister
einen hochgebildeten Professor der Philosophie, denn der hatte Fragen zur buddhistischen
Philosophie. Sogleich begann der Professor sein bereits vorhandenes Wissen über
die fernöstliche Philosophie kund zu tun. Der Zen-Meister bot seinem Besucher Tee
an und schenke ihm ein. Als die Tasse langsam voll war, goss er trotzdem immer
weiter. Der Professor sah zu und glaubte, der Meister würde gleich innehalten –
bis der Tee überfloss. Da rief er: „Halt! Die Tasse ist doch schon übervoll, mehr
geht nicht hinein!“
Der Zen-Meister antwortete: „Ganz recht. Wie diese Tasse bist auch du voll mit Wissen, Ansichten und Spekulationen. Wie soll ich dir Zen zeigen, bevor du nicht deinen Geist geleert hast?“
Der Zen-Meister antwortete: „Ganz recht. Wie diese Tasse bist auch du voll mit Wissen, Ansichten und Spekulationen. Wie soll ich dir Zen zeigen, bevor du nicht deinen Geist geleert hast?“
Lernen, das Nicht-Wissen auszuhalten
Tatsächlich haben
wir weniger Kontrolle über die Dinge als wir uns wünschen. Und obwohl uns
heutzutage jegliche Informationen über das Internet zur Verfügung stehen, ist
unser Wissen, Verstehen und Erkennen verhältnismäßig gering. Dieses
Nicht-Wissen auszuhalten ist manchmal gar nicht so leicht. Oft setzen wir uns
selbst unter Druck, die Dinge besser machen zu können, lesen Ratgeber, befragen
das Internet oder Freunde und Bekannte. Und doch ist das nicht zufrieden
stellend, weil wir ahnen, dass die anderen es auch nicht wirklich wissen. In
vielen Bereichen des Lebens tun wir gut daran, diesen Anspruch zu minimieren. Z.B.
fällt es Eltern schwer einzusehen, dass sie manches einfach nicht wissen
können, sondern besser daran tun, sich einfach von Moment zu Moment auf die
Situationen mit sich und ihren Kindern einzulassen, zu vertrauen und zu
schauen, was jetzt gerade angemessen sein könnte.
„Menschen haben viele
Methoden erfunden, um Ungewissheit zu verdrängen. Wir versichern uns gegen
alles, schwören auf Horoskope, beten zu Gott und sammeln Terabytes von
Informationen, um unsere Computer in Kristallkugeln zu verwandeln. Statt
Illusionen der Gewissheit zu schaffen, sollten wir den Mut fassen, den Risiken
ins Auge zu sehen. Ungewissheit aushalten zu können, ist, was uns zum mündigen
Bürger macht.“ Bildungsforscher Gerd
Gigerenzer, tageszeitung
Wenn
wir es schaffen, uns der inneren Leere und dem Nicht-Wissen hinzugeben, stellt
sich langsam ein Gefühl von Transparenz und Durchlässigkeit ein. Wir fühlen uns
leichter und offener. Wir bemerken, dass wir unser Wissen oder Wissen-Müssen oft wie eine Last oder
wie ein Schutzpanzer mit uns herumgeschleppt haben. Wenn wir das loslassen, verändert sich etwas. Unsere Umwelt wird anders
auf uns reagieren, Beziehungen, Situationen, Muster werden sich auf wundersame
Weise verändern und Momente des Staunens, des Glücks, der Zufriedenheit werden
sich häufen, da es uns immer leichter fällt, das anzunehmen, was gerade da ist
und es wertzuschätzen als eine Möglichkeit zu verstehen und zu wachsen.
Durch
die Hingabe an die Leere, die Offenheit, kreieren wir einen Raum, in dem wieder
alles möglich wird. Manchmal wird dann plötzlich eine innere Stimme vernehmbar,
wird ein Bauchgefühl spürbar. Manche nennen das Intuition. Zu ihr haben wir
Zugang, wenn wir zulassen, dass Kopf und Bauch miteinander kommunizieren und zu
gleichberechtigten Teilen mitbeobachten, mitentscheiden. Mit Achtsamkeit und Intuition lassen
wir Denken und Wollen, Absichten und Ziele los und schauen,
was dann entsteht, was dann in unser Bewusstsein kommt. Und wenn dann etwas auftaucht, wissen wir manchmal mit kraftvoller
Sicherheit: Das ist es. So geht es. Hier geht es lang.
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