Die Liebe! Die Liebe... Die Liebe??
Liebe ist wohl die größte Kraft. Sie trägt das Leben, ohne sie
wäre es nicht möglich. Sie ist der Stoff, aus dem wir bestehen, eine kraftvolle
Mischung aus Offenheit und Wärme. Wir brauchen sie, um echten Kontakt herzustellen
und Verbundenheit zu empfinden, um Freude und Wertschätzung zu empfinden, um in
Harmonie zu sein. Aber wenn doch die „Macht der Liebe“ so stark ist, warum gibt
es dann so viel Kampf und Konflikt, so viel Angst und Verwirrung unter den
Menschen? Warum ist es so schwer sich der Liebe ganz zu öffnen?
Im Grunde unseres Herzens sehnen wir uns alle danach
anerkannt, gewertschätzt und akzeptiert zu werden, so wie wir nun einmal sind –
mit unseren Stärken und Schwächen. Wir haben jeder Erfahrungen gemacht, für
andere nicht gut genug zu sein – im Job, in Partnerschaften, in Beziehung zu
unseren Eltern. Dadurch wurde unser Vertrauen in die Liebe erschüttert. Wir
haben gelernt, dass sie „bedingt“ und „abhängig von“ ist, von Leistung,
Aussehen, Erwartungserfüllung usw. Dadurch entsteht dann der tief sitzende
Verdacht in uns, dass wir nicht einfach für den, der wir sind, geliebt werden.
Dieser Zweifel an der Liebe, diese Unsicherheit und Angst untergräbt unsere
natürliche Fähigkeit unsere Liebe frei zu geben und sie zu empfangen. Wir
kämpfen mit Furcht vor Missbrauch und Ablehnung, mit Eifersucht und Rachsucht, wir
bauen Mauern oder sind streitlustig, um zu ständig zu beweisen, dass wir im
Recht sind usw. Eine „Stimmung mangelnder Liebe“, nennt John Welwood diesen Zustand
in unserer menschlichen Welt.
Absolute Liebe – relative Liebe
Dabei sind wir von Natur aus voller Liebe, jeder und jedes
Wesen. Die absolute Liebe fließt durch uns hindurch und ist immer verfügbar. Wir
können sie in jedem Moment spüren, wenn wir uns nur dafür öffnen würden; wenn
wir Zweifel, Ängste und Kontrollmuster loslassen könnten und uns der
grundlegenden Liebe allen Lebens hingeben würden. Denn absolute Liebe ist die
Liebe des Seins selbst und sie ist vollkommen unabhängig von unserer Umgebung.
Mit dem Sein selbst in Kontakt zu sein, wärmt und nährt uns von innen, schenkt
uns Kraft, Zuversicht und Selbstvertrauen. Wenn wir uns entspannen und in uns
ruhen, können wir diese Kraft, diesen Lebensstrom der Liebe spüren.
In Beziehungen können wir diese absolute Liebe weder erzeugen
noch dürfen wir sie vom anderen erwarten. Doch Beziehungen dienen als Spiegel,
in dem wir diese absolute Liebe in uns selbst erkennen können. Werden wir
geliebt, gehalten, anerkannt, gewertschätzt und akzeptiert wie wir sind, spüren
wir die Wärme und Offenheit des anderen, die uns gut tut, weil sie in unserem
Herz die absolute Liebe erfahrbar macht. Werden wir geliebt und können die
Liebe auch annehmen, spüren wir wie diese absolute Liebe frei durch uns
hindurch fließt. Oft glauben wir dann, dass es uns so gut geht, weil der andere
uns diese Liebe gibt - das macht uns abhängig. Tatsächlich lässt uns der andere
bloß die Fülle der Liebe in uns selbst erfahren, wir sind so glücklich, weil
wir uns endlich spüren, endlich Ja zu uns selbst sagen können.
Oft erwarten wir auch, dass wir bedingungslos geliebt werden,
dass der andere die „Hauptquelle“ der Liebe sein sollte. Das führt zu Leid und
Frustrationen. Denn das, was wir als zwischenmenschliche Liebe kennen, ist „im
Gegensatz“ zur absoluten Liebe eine relative Liebe – relativ, weil abhängig von
Zeit, Umgebung, Stimmung, Konditionierungen und Verhaltensmustern aller
Beteiligten. Die Konzentration auf den Versuch, etwas vom anderen zu bekommen,
hindert uns daran, in unserem eigenen Urgrund zu ruhen und zu verweilen, es
macht uns äußerlich abhängig und innerlich abgeschnitten.
Als irdische Geschöpfe sind wir ständig relativen
Enttäuschungen, Schmerz und Verlust ausgesetzt sind, deswegen können wir uns
nicht anders fühlen als verletzlich. Doch „in der tiefen Wahrnehmung der
Einheit mit dem Leben erkennt man, dass man nicht verwundet ist, nie verwundet
gewesen ist und nicht verwundet werden kann.“, schreibt John Wellwood. Ganz authentisch
und menschlich zu sein bedeutet in beiden Dimensionen, der absoluten und der
relativen Liebe, fest verwurzelt zu sein. Es bedeutet, die Tatsache zu feiern,
dass wir gleichzeitig verletzlich als auch unzerstörbar sind.
Liebevolle Beziehungen
Wie also können wir unsere menschlichen Beziehungen so
erleben, dass sie andauern – über das erste Verliebtsein hinaus, über Konflikte
und Differenzen hinaus? Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass Beziehungen
uns in Kontakt mit der absoluten Liebe bringen und uns öffnen. All unsere
Blockaden, Wunden, all unsere Verzweiflung und unser Misstrauen kann sich
dadurch offenbaren. Das fühlt sich erst mal sehr schmerzlich an. Es ist in
Wahrheit die große Chance der menschlichen Beziehung, denn die Liebe kann nur
frei fließen, wenn alle unsere Verletzungen an die Oberfläche gekommen sind.
Die Liebe kann heilen, doch sie kann auch nur das heilen, was sich auch zur
Heilung zeigt.
Wenn wir uns streiten oder am anderen etwas auszusetzen haben,
sollten wir erkennen, dass unsere Unterschiedlichkeit wichtig ist und bewusst
wahrgenommen werden kann, mit gegenseitiger Wertschätzung, Neugier und Freude. Oft
verzweifeln wir an unseren Ansprüchen an den anderen und an uns selbst. „Ich
liebe dich, aber gerade kann ich dich nicht ausstehen“ – das ist ok! Im Alltag
schwanken wir ständig zwischen Öffnung und Verschließen, Anziehung und Ablehnung,
Verständnis und Unverständnis, Begegnung und Rückzug. So ist das Leben selbst.
Es ist ein ständiger Wandel, ein Pulsieren, so auch unsere Beziehungen. Wenn
wir nicht gegen die Gezeiten der Liebe ankämpfen, sondern mit den Wellen gehen
und auf ihnen reiten lernen, haben wir die Chance echte Nähe, echten Kontakt zu
erleben. Wir heilen unsere Wunden und spüren die Kraft und Gelassenheit, die
uns innewohnen.
Unsere Unvollkommenheit kann uns als Wegweiser dienen im
Arbeitsprozess, der wir sind, anstatt als Hindernis für die Liebe oder das
Glück gesehen zu werden. Unser Geist und unser Herz sind unendliche Räume, so
wie der Himmel. Wolken sind für den Himmel nichts Bedrohliches – genauso
sollten wir den Schwierigkeiten in unseren Beziehungen begegnen. Im
Zweifelsfall ist es angesagt, zunächst in Kontakt mit sich selbst zu kommen, um
Bewusstheit und Mitgefühl zu entwickeln, und sich erst dann dem Partner
zuwenden. Zum Beispiel schafft eine bewusste Pause zwischen Arbeitsalltag und
Zusammentreffen mit dem Partner schon viel mehr Ruhe, als wenn man non-stop von
einem in den anderen Modus kommt.
Ein immer wieder zu sich kommen, während man in Kontakt mit
dem Partner ist, kann Raum geben für Echtes, Ehrliches, Gemeinsames. So oft
wissen wir gar nicht, was bei uns selbst gerade los ist, erwarten aber vom
anderen, dass er uns versteht und perfekt auf uns eingeht. Unsere Enttäuschung
von der Liebe lässt den Groll in uns oft unverhältnismäßig anwachsen. Lassen
wir den Groll! Er führt uns vom Wege ab. Erkennen wir unsere Gefühle und wahren
Bedürfnisse, können wir immer wieder zu Mitgefühl und inniger Anteilnahme
finden – für uns selbst und den anderen – und zusammen an den Dingen arbeiten.
Wir sollten bei uns selbst die „Stimmung mangelnder Liebe“
untersuchen und klären, um eine zufriedene Beziehung leben zu können. Meistens
wollen wir auf eine bestimmte Art geliebt werden, nämlich so, das unsere
emotionalen Wunden aus der Vergangenheit geheilt werden. Man kann sich mal
hinsetzen und der Frage nachspüren: Nach welcher Art von Liebe sehne ich mich
am meisten? Und was genau würde mir das geben, wenn ich sie erlebte?
Manche stellen dann überrascht fest, dass sie einfach eine
große Sehnsucht nach ihrem eigenen Herzen haben. Sie möchten Liebe und Glück,
Zufriedenheit und Wärme in ihrem Herzen spüren. Wenn man einmal bewusst erlebt
hat, wie einem das Herz aufgeht, wenn man nur an das denkt, was man sich
wünscht und sich vorstellt es zu haben, versteht man auf eine tiefere Art und
Weise, dass es dieses Gefühl ist, was man sich wünscht, und dass man es selbst
in der Hand hat, dies zu spüren. Wenn das Herz offen ist, kann die Liebe frei
durch einen durchfließen. Diese Erfahrung und dieses Wissen sind eine gute Basis für eine Beziehung.
Diese Art Liebesbeziehung mit sich selbst bedeutet eine große innere Freiheit.
Literaturtipps zum Thema
John Welwood: Vollkommene Liebe
Sally Kempton: Meditation - Das Tor zum Herzen öffnen
Safi Nidiaye: Herz öffnen statt Kopf zerbrechen, Das Tao des
Herzens
Für Eltern
Alfie Kohn: Liebe und Eigenständigkeit
Naomi Aldort: Von der Erziehung zur Einfühlung
Vimala McClure: The Tao of Motherhood
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