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Stille



Wenn wir während der Meditation die Aufmerksamkeit auf die Geräusche lenken, ist es im Raum oft fast ganz still. Nur die Heizung rauscht ein wenig. Dann versuche ich als Anleitende diese Stille möglichst selten zu unterbrechen, auch weil ich sie so genieße. Und gleichzeitig bin ich mir dessen bewusst, dass diese Stille von jedem ganz unterschiedlich wahrgenommen wird.
Der eine nimmt sie nicht richtig wahr, da er die ganze Zeit auf das nächste Geräusch lauert, ein Schlucken, ein Knacken, ein Magenknurren. Ein anderer nimmt die Stille wahr und erschrickt, sie ist ihm unheimlich. Mancher entwickelt plötzlich einen Impuls sich zu bewegen, sich zu kratzen und auf dem Kissen hin- und herzurutschen, und erzeugt damit selbst ein Geräusch in die Stille hinein. Wir sind diese Stille einfach nicht gewohnt. Im Alltag sind wir daran gewöhnt, permanent „Lärm“ um uns herum zu haben oder zu erzeugen, durch Musik, durch Gespräch, durch den Fernseher. Äußere Stille ist in einer Stadt ein seltenes Gut und doch ist sie häufiger zu finden als man denkt. 

Eine kleine Übung für den Alltag:
„Wann immer um dich herum Stille herrscht, solltest du darauf lauschen, ihr Aufmerksamkeit schenken. Auf die äußere Stille zu lauschen eröffnet dir die Dimension der Stille in dir selbst.“

Die Stille in mir selbst. Auch die ist ein scheinbar seltenes Gut. Denn wenn wir still werden, fällt uns als erstes der Lärm auf, der durch unsere Gedanken entsteht. Wir wollen „abschalten“ und uns ausruhen. Doch sobald wir die äußeren Reize minimieren, werden uns die inneren Geräusch-Impulse umso bewusster.

„Das Gegenstück zum äußeren Lärm ist der innere Lärm des Denkens. Das Gegenstück zur äußeren Stille ist innere Stille jenseits der Gedanken.“

Wenn wir Achtsamkeit üben und meditieren wird der Lärm leiser, nach einer Zeit werden die Gedanken weniger und unser Geist wird stiller. Je öfter wir üben, desto leichter fällt uns dieser Prozess des Still-Werdens. Seltener wird die Haltung des Wartens auf das nächste Geräusch, die nächste Ablenkung. Mit der Übung finden wir schneller hinaus aus dem Zustand innerer Unruhe und Geschäftigkeit, der Rastlosigkeit des Geistes und der Nervosität des Körpers – hinein in eine heilsame Stille. Und wir freunden uns an mit der Stille, sie erschrickt uns nicht mehr, sondern sie wird uns wie ein guter Freund. Ein Freund, der immer da ist und auf den wir uns verlassen können, auch wenn wir ihn gerade nicht sofort spüren können.

„Sobald du dir der Stille bewusst wirst, ist sofort dieser Zustand stiller, innerer Wachsamkeit da. Du bist präsent.“

Manch einer findet diesen Zugang schnell und häufig und nutzt das Werkzeug der Achtsamkeit um Stille im Alltag und der Meditation zu genießen. Andere haben mehr Schwierigkeiten und größere Widerstände. Für sie ist das Still-Sein eine sehr herausfordernde Übung. Ich glaube, diese Stille kennenzulernen und den Zugang dazu zu erlernen und zu kultivieren, ist für jeden Menschen äußerst nährend und heilsam.
Für mich ist diese innere Stille ein Ort der Zuflucht und des Erinnerns an mein Wesen. Hier an diesem Ort gibt es keine Aufgaben oder Projekte, keine Sorgen oder Ängste, hier muss ich nichts leisten und ich muss von niemandem Leistung erwarten. In dieser Zuflucht habe ich Kontakt mit meiner innersten Wesenheit, die gut und wahr, rein und perfekt ist. Hier an diesem Ort ist auch eine Fülle zu finden, die in dem Lärm der Gedanken oft untergeht: Hier finde ich meine Kraft, meine Energie, meine Kreativität und meine Gelassenheit, hier wohnen mein Gleichmut und meine Güte, meine Liebe und meine tiefste Freude am Leben.

„Schau dir einen Baum, eine Blume, eine Pflanze an. Lass dein Gewahrsein darauf ruhen. Wie still sie sind, wie tief sie im Sein wurzeln. Lass zu, dass die Natur dich die Stille lehrt. Wenn du einen Baum anschaust und seine Stille wahrnimmst, wirst du selber still.

Jeder störende Lärm kann ebenso hilfreich sein wie äußere Stille. Inwiefern? Wenn du den inneren Widerstand gegen den Lärm aufgibst, sodass er sein darf, wie er ist, führt dich dieses Annehmen auch in den Bereich des inneren Friedens, der inneren Stille.

Wann immer du diesen Augenblick so, wie er ist - welche Form er auch haben mag - aus tiefstem Herzen annimmst, bist du still, bist du im Frieden.

Achte auf Pausen - die Pause zwischen zwei Gedanken, die kurze Pause zwischen den Worten eines Gesprächs, zwischen den Tönen beim Klavier- oder Flötenspiel, auf die Pause zwischen Ein- und Ausatmen.

Spüre die Energie deines inneren Körpers. Sofort klingt der mentale Lärm ab oder hört auf. Spüre die Energie in Händen und Füßen, in Bauch und Brust. Spüre das Leben, das du bist, das Leben, das den Körper beseelt. Dann wird der Körper eine Art Durchgang zu einem tieferen Gefühl von Lebendigkeit, das unter den wechselnden Emotionen und unter dem Denken liegt.

Kleingedrucktes aus: Eckart Tolle, Stille spricht


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