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Verbundensein und Meditation


Die Dämonen füttern – Lama Tsültrim Allione

Ursprüngliches Verbundensein und Einheit

"Angst nimmt ihren Ursprung in einer grundlegenden Spaltung, die mit der Entstehung des Egos zu tun hat. Aber lass uns grundsätzlich beginnen: Es gibt den uranfänglichen Grund des Daseins, und es gibt die Ausstrahlung dieses Grundes des Daseins. Die Ausstrahlung geht aus dem Urgrund hervor und drückt diesen aus. (Was ich mit „Ausstrahlung“ meine, ist der Ausdruck, die Erscheinung, das Display – alles was wir in der Welt sehen, ist in Wirklichkeit die Erscheinung unseres Geistes.)

Und dann gibt es einen Moment – wir wissen nicht genau, warum dies passiert, aber es passiert –, in dem das Bewusstsein, das aus dem Urgrund des Daseins ausstrahlt, sich plötzlich als ein vom Grund Getrenntes fühlt. In diesem Moment wird Angst geboren. In diesem Moment spalten sich der Grund und die Erscheinungsformen des Grundes. Plötzlich versäumt die Ausstrahlung des Grundes, ihre Einheit mit dem Grund zu erkennen.

Bewältigungsstrategien des Egos

Wenn die Fähigkeit zur Erkenntnis [dass wir mit dem Urgrund verbunden sind] nicht vorhanden ist, bewegt sich das Bewusstsein, ausgehend von diesem grundlegenden Moment der Panik, nach außen. Es versucht, im außen Probleme zu lösen, die nur durch Umkehr gelöst werden können, die nur Auflösung finden, wenn das Bewusstsein in sich selbst ruht. Das Ego entsteht aus der Angst im Augenblick der Trennung vom Grund.

Unsere Ego-Strategien, um Angst aufzulösen, sind die fünf hinderlichen, emotionalen Muster: Ignoranz, Wut, Stolz, Neid und Gier. Es sind versuche, sich selber zu fühlen, denn die Erfahrung der Trennung erzeugt Verunsicherung und Angst.

Aber diese Strategien funktionieren nicht, und so leben wir mit einem fortwährenden Irrtum. Die Strategien der Egos – deines Partners, deiner Schwester, deines Vaters, deines Lehrers –, sie verschlingen sich alle miteinander, und jeder versucht eine Lösung zu finden, die er „Glücklichsein“ nennt. Aber alle bewegen sich in die falsche Richtung, gehen nach außen.

Der Geist versucht ständig 1) mögliche Angriffe auf sich ausfindig zu machen, 2) sucht nach Dingen, die ihn vielleicht stabilisieren, und 3) ignoriert alles andere. Das sind die drei wesentlichen Gifte.
Das Ego ist so eine Art Hauptquartier, von dem ständig spionierende Überwachungswagen ausgesandt werden. Sie fahren Streife und erleben alles als auf sie zukommend. So melden sie zurück: Hier kommt eine Gefahr, dort kommt ein Angriff, das könnte dich stärken oder dies ist unwichtig.
Unser Leben besteht über weite Strecken aus diesen Rückmeldungen und unseren entsprechenden Reaktionen darauf.

Meditation und Wiedervereinigung

In der Meditation stoppen wir diesen Vorgang – zum einen, indem wir körperlich zur Ruhe kommen, und zum anderen, indem wir den Geist ruhiger werden lassen. Mit den Praktiken zur Natur des Geistes wenden wir das Bewusstsein, das sich nach außen gewandt hat und nach allem greift, zurück, damit es sich selbst sieht. Im Moment des Umwendens und Schauens gibt es eine natürliche Erfahrung von Vereinigung.

Wenn wir praktizieren, lernen wir in der Vereinigung zu verweilen. Das ist die Rückkehr der Ausstrahlung , die erkennt, dass sie untrennbar ist vom Grund.

Die Frage nach der Angst ist wirklich fundamental. Wenn wir an die ursprüngliche Angst herankommen können, dann können wir uns von allen Folgeängsten, allen Sekundärängsten befreien und sie aufgeben: Die Angst, angegriffen zu werden, zu dick zu sein, die Angst nicht genug zu sein, die Angst vor Höhe, vor dem Dunkel ...

Wenn wir lernen können, im Geiste zu ruhen, der wie der Himmel ist, nicht geboren, nicht endend und unbegrenzt, wenn wir erkennen können, dass dies tatsächlich unser eigentlicher Zustand ist, dann lösen wir diese grundlegende Angst auf.
Wir können gegenüber unseren Ängsten unzählige Strategien entwickeln. Aber solange wir nicht an die Angst herankommen, die an der Wurzel von allen Ängsten liegt, werden fortwährend neue Ängste entstehen. Sie sind einfach ein Begleitprodukt unseres Egobewusstseins.

Alle Meditationspraktiken zielen auf das Wiedererkennen der Untrennbarkeit, der Nichtdualität von allem. Mithilfe unserer Praxis können wir zu diesem Wiedererkennen gelangen. [...]

Ich glaube, der beste und wirksamste Schutz ist, wenn du dich gar nicht schützt. Im Grunde ist es genau das Gegenteil von Schutz, weil du dich nur entspannst. Denn Angst hat immer ein Element von Verengung und Schrumpfung. Aber der Urgrund des Seins hat keine Grenzen. Man kann nicht gleichzeitig mit dem Urgrund verbunden und in einem zusammengezogenen Zustand sein. Die Erfahrung von Furchtlosigkeit ist nicht eine Art Machotapferkeit, gerüstet bis an die Zähne und dann auf in den Kampf. Ich bin nicht furchtlos, wenn ich total geschützt bin. Von einem buddhistischen Standpunkt aus gesehen ist das nicht Furchtlosigkeit.  Ich bin furchtlos, wenn ich total ungeschützt bin, weil ich begreife, dass ich keinen Schutz brauche.
Die „Dämonenarbeit“ ist eine westliche Adaption des Ansatzes von Chöd. Bei der Dämonenarbeit fühlt man die Angst als Energie im Körper, und wir erlauben, dass sich diese Angst verkörpert. Dann schauen wir, was die Angst braucht, warum sie uns verfolgt. Und durch dieses „Füttern“ wird sie aufgelöst und verwandelt sich in einen Verbündeten.[1] Die Spannung löst sich auf. Es geht um eine Umkehr und Begegnung. Das ist nicht so leicht. Aber diejenigen, die es machen, merken: Angst zu haben ist auch nicht leicht und viel Arbeit, viel äußeres und inneres Rennen. Denn wenn man Angst hat, rennt man immer ein wenig vor der Angst weg. Aber das zu umarmen, was dich verfolgt, ihm ins Auge zusehen, setzt eine Menge Energie frei."

gekürzt aus: Buddhismus aktuell 04/2012



www. taramandala.org

Tsültrim Allione: Den Dämonen Nahrung geben: Buddhistische Techniken zur Konfliktlösung. Mit einem Vorwort von Jack Kornfield








[1] Man könnte meinen durch das „Füttern „würden die Ängste größer, doch das Gegenteil ist der Fall. Sie werden größer, wenn wir Widerstand gegen sie leisten, sie einfach nur weg haben wollen oder davonlaufen, vermeiden, ignorieren. Wenn wir die Ängste wirklich anschauen, anerkennen und verstehen, lösen sie sich mit der Zeit auf.


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